Leseprobe:
Nur mit meinem Sohn (Johanna Gerlinde Lenz)


Über die orientalischen Länder, ihre Menschen, Religionen und Gesellschaftsformen scheinen in manchen deutschen Köpfen abenteuerliche Vorstellungen herumzuspuken. Durch die meist lückenhafte politische Berichterstattung in den Medien bleiben die Kenntnisse vieler Menschen begrenzt. Die bedeutende Kultur, die glanzvollen Geschichtsepochen sowie die Vielfalt der Landschaft und ihre Reize bleiben ihnen verschlossen. Kein Wunder, dass für viele Westeuropäer das Fremdartige bedrohlich wirkt.
Als mein Sohn Peter nach Abschluss seiner Referendarzeit im Herbst 1997 in Deutschland keine Lehrerstelle bekam, beschloss er ins Ausland zu gehen. Er meldete sich in Köln beim Bundesverwaltungsamt und absolvierte einen Vorbereitungskurs für Auslandslehrer. Bald danach bekam er einen Anruf von dem Direktor der Deutschen Botschaftsschule in Teheran, er brauche dort dringend einen Lehrer für Französisch und Musik, er, Peter, sei ihm vorgeschlagen worden. Kurz entschlossen sagte Peter zu. Ich staunte über seinen Mut, sagte aber nichts dafür oder dagegen. Verwandte, Freunde und Bekannte warnten ihn: „Hast du keine Angst?" – „Dort wird noch gefoltert!" – „Es gibt die Todesstrafe." - „Wenn sie dich einsperren, was dann?" und noch viele andere Bedrohlichkeiten, die er jedoch alle in den Wind schlug. Einige Weitgereiste bestärkten ihn aber auch in seinem Entschluss und wiesen auf zu erwartende positive Erfahrungen hin. Er besorgte sich ein Ticket und ein Visum und flog im September 1998 nach Teheran. Mit ihm flogen noch zwei Lehrer, die er im Vorbereitungskurs bereits kennen gelernt hatte, einer aus Bayern, einer aus Berlin.
Wir, die Daheimgebliebenen, warteten in der Folgezeit mit Spannung auf die ersten Nachrichten. Als sie eintrafen, klangen sie sehr positiv, ja, fast euphorisch. Peter hatte ein gutes Arbeitsklima in der Schule angetroffen, war gastfreundlich untergebracht und fühlte sich wohl, auch ohne Bier und Schweinebraten. Er wurde oft eingeladen und hatte schon einige Sehenswürdigkeiten in Stadt und Umgebung erkundet. In den Weihnachtsferien kam Peter nach Hause und lud mich ein, ihn in den Nowruz-Ferien (Neujahrsferien) im März zu besuchen. Ich hatte niemals an so eine weite Reise gedacht und scheute zunächst davor zurück. Dorthin sollte ich kommen, wo die Frauen unterdrückt werden? Außerdem war ich auch erst zweimal kurze Strecken geflogen und hatte immer noch höllische Angst davor. Aber im Januar lud Peter mich offiziell über die Deutsche Botschaft Teheran ein. Daraufhin beantragte ich beim Iranischen Konsulat in Bonn ein Visum und besorgte mir bei British Airways ein Ticket für einen Flug am 18. März 1999. Nun sollte es sein!
Jeden Abend habe ich die Erlebnisse dieser abenteuerlichen Reise festgehalten und die Aufzeichnungen im folgenden Bericht unverändert übernommen.

 

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