Leseprobe:
Creativo;

Tim und Tom – die Mathearbeit
Barbara Merten


Tim und Tom sind Zwillinge, ziemlich chaotische sogar. Sie sehen ganz gleich aus, gehen in die gleiche Klasse, haben die gleichen Freunde und natürlich die gleichen Lehrer; die gleichen Klamotten – alles gleich! Für sie ist das ziemlich normal und praktisch. Papa und Mama haben keine Schwierigkeiten sie auseinanderzuhalten. Sie kennen ihre „Pappenheimer“ genau.
Aber für die Lehrerin Frau Klose ist es besonders schwierig, wegen der Noten. Gott sei Dank hat sie mit der Zeit herausgefunden, dass Tim ausgezeichnet malen kann, während Tom nicht mal einen Hund aufs Papier bringt, ohne dass man überlegt, ob es ein Schwein oder ein Hase sein soll.
Dafür ist Tom unheimlich sportlich. Er dreht Purzelbäume aus dem Stand, einfach in der Luft, wie ein Akrobat. Er klettert auf Bäume, als wäre er ein Eichhörnchen.
Tim und Tom lieben es, wenn ihre Freunde sie verwechseln. Fast jeden Morgen auf dem Weg zur Schule überlegen sie sich schon, wem sie einen Verwechslungsstreich spielen wollen. Manchmal erzählen sie sich auch einfach, was sie schon alles angestellt haben und kichern und lachen auf dem langen Schulweg.
Heute Morgen aber geht es Tom nicht besonders gut. Frau Klose hat nämlich eine Mathearbeit angekündigt und Tom hat keinen blassen Schimmer. Mathe ist für ihn wie ein Buch mit sieben Siegeln, total verschlossen. Auch wenn Tim ihm immer wieder sagt, es sei doch alles so pippileicht, für ihn ist Mathe eine Katastrophe. „Hirnblockade“ nennt Tom diesen Zustand, wenn sein Kopf einfach abschaltet und er nicht mal 333 minus 3 ausrechnen kann.
Missmutig, mit hängendem Kopf stapft Tom neben Tim und schießt dabei einen kleinen Kieselstein immer ein Stückchen weiter vor sich her.
„Ich glaube, ich bin krank“, sagt er zu Tim. „Mein Bauch tut weh. Mir ist auf einmal ganz übel!“
„Quatsch, du hast nur Schiss vor der Arbeit. Stell dich nicht so an. Das wird schon! Wir haben doch alles gut geübt!“, ermuntert Tim seinen Bruder und gibt ihm einen Schubs in die Seite.
Tom stolpert. Mit dem linken Fuß tritt er direkt am Bordstein vorbei auf die Straße. Armrudernd versucht er das Gleichgewicht wiederzufinden, ohne hinzufallen. Autoreifen quietschen. Der Fahrer des Wagens, der gerade vorbeifährt, macht einen Schlenker und saust knapp an Tom vorbei.
Entsetzt und erschrocken hupt er und tippt sich immer wieder aufgeregt gegen die Stirn, was wohl heißen soll: „Spinnt ihr? Passt doch besser auf!“
Das Hupen ist Tim und Tom ganz schön in die Glieder gefahren. Erschrocken bleiben sie stehen und schauen sich an.
„Puh, Gott sei Dank ist nichts passiert.“
Beide sind kalkweiß, fast wie Gespenster.
„Du bist ja ein richtiger Schlappmann heute Morgen. Von so einem Schubs fällst du doch sonst nicht gleich auf die Straße“, ist Tim entsetzt.
Dass seinem Bruder etwas zustößt, das will er wirklich nicht.
„Was machen wir jetzt? Nach dem Schrecken verhaue ich die Arbeit bestimmt richtig.“ Tom fängt an zu weinen.
„Mensch, hör auf! So schlimm war es doch gar nicht“, versucht Tim seinen Bruder zu trösten und legt ihm die Hand auf die Schulter. „Pass auf, ich habe eine Idee!“
Man sieht, wie es in Tims Kopf arbeitet. Sein Gesicht ist nun nicht mehr weiß. Nein, seine Augen leuchten richtig vor Begeisterung, als er zu seinem Bruder sagt: „Tim ist Tom und Tom ist Tim; dann wird die Arbeit nicht so schlimm!“
Verständnislos schaut Tom Tim in die Augen: „Hä? Was soll das?“, fragt er.
„Ganz einfach! Wir tauschen die Rollen! Du setzt dich auf meinen Platz und ich auf deinen. Das merkt kein Mensch! Und Frau Klose schon lange nicht“, sagt Tim.
„Natürlich merkt sie das! Spätestens beim Korrigieren!“
Tom ist sicher, dass das niemals klappt.
„Wieso soll ich nicht auch mal eine Arbeit verhauen? Außerdem bin ich dir das schuldig. Schließlich hättest du tot sein können, wenn du vor dem Auto gelandet wärst. Da nehme ich eine 5 gern in Kauf“, redet Tim auf seinen Bruder ein.
„Meinst du wirklich? Ich bin Tim und du bist Tom?“
„Hunderpro! Natürlich! Ich bin Tom und du bist Tim, einverstanden?“
Tim zwinkert seinem Bruder zu. „Los schlag ein! Ab jetzt sind wir nicht mehr wir selbst, sondern ich bin du und du bist ich!“
„Ich bin Tim, das Mathe-Ass! Ich bin Tim, das Mathe-Ass!“ strahlt Tom und schlägt bei Tim, der ihm die Hände reicht, ein. Sie tauschen noch schnell ihre Ranzen, denn auf den Heften stehen ja die Namen.
„So“, sagt Tim, „denke aber auch daran, dass ich bei der 2 immer so einen Kringel unten dran mache, klar? Außerdem musst du unbedingt das Lineal benutzen, so wie ich es immer tue.“
„O.k.! Dann musst du aber das Lineal schön im Ranzen lassen, denn ich ziehe die Striche immer ohne Lineal“, grinst Tom seinen Bruder an.
Inzwischen sind sie vor dem Schulgebäude angekommen. Viele Kinder tummeln sich auf dem Schulhof.
„Hey Timtom!“, ruft Lasse ihnen zu und hebt die Hand zur Begrüßung. Den Namen hat er sich ausgedacht. So brauchen die Freunde nicht jedes Mal zu fragen, wen sie vor sich haben. Sie sagen einfach Timtom zu beiden.
Es läutet. Laut johlend laufen die Kinder in ihre Klasse. Tom setzt sich auf Tims Platz neben Nele. Tim muss nun bei Lasse sitzen. Sie quatschen noch ein bisschen mit den anderen, dann kommt Frau Klose herein. Nach der Begrüßung teilt Frau Klose die Arbeitshefte aus. Tom schlägt das Heft von Tim auf. Drei Arbeiten haben sie schon geschrieben. Bei Tim stehen zwei Einsen und eine Zwei Plus. Tom wird es ein wenig heiß. In seinem Heft stehen nur drei Vieren. Oje!
„Ich bin Tim! Ich bin Tim!“, murmelt er leise vor sich hin. Frau Klose kommt und legt jedem das Arbeitsblatt mit den Aufgaben auf den Tisch. „Na Tim? Wird´s heute wieder ein Einser?“, fragt sie und zwinkert Tom an.
Der wird rot wie eine Tomate. Gott sei Dank bemerkt es Frau Klose nicht, denn sie teilt weiter an die anderen aus. Tom schaut sich die Aufgaben an. Noch einmal schließt er die Augen und murmelt ganz leise: „Ich bin Tim. Ich kann das!“ Dann holt er tief Luft, nimmt seinen Stift und arbeitet konzentriert an den Aufgaben. Komisch, es geht ganz leicht! Tom fühlt sich wie Tim. Ist das Hexerei oder so´n Psychokram? Jedenfalls hat er keine Angst mehr beim Lösen der Aufgaben und ist auch ziemlich schnell fertig.
Tim, der ja nun Tom ist, versucht nicht alles richtig zu machen, damit die Schwindelei nicht auffällt. Bei zwei Aufgaben schreibt er absichtlich ein falsches Ergebnis hin. „Naja, für eine Drei soll´s reichen“, denkt er und gibt das Heft ab.
Es läutet. Die Pause beginnt. Tim und Tom sind erleichtert, dass bis jetzt alles gut gegangen ist. In den nächsten Tagen aber sind beide sehr nachdenklich. Der Schwindel liegt ihnen im Magen. Mama und Papa bemerken es auch. „Was ist mit euch los?“, fragt Papa am Frühstückstisch. „Diese Ruhe hier ist ja fast unheimlich!“
„Nichts, wir haben nur keinen Bock mehr auf Schule. Hoffentlich gibt’s bald Ferien“, beantwortet Tim Papas Frage. „Die vier Wochen schafft ihr schon“, ermuntert die Mutter. „Das Schuljahr war dieses Mal auch recht lang. Aber dann fahren wir ja für drei Wochen an die See. Ich freue mich schon darauf.“ Dabei bleibt´s.
In der nächsten Woche hat Frau Klose die Mathearbeit nachgesehen.
Sie legt den Stapel aufs Pult. Tim und Tom sind sehr aufgeregt, als Frau Klose die Arbeit mit ihnen bespricht. Hoffentlich geht das gut! Frau Klose beginnt nun, die Arbeiten an die Kinder auszuteilen. Als sie die Hefte von Tim und Tom in der Hand hält, sagt sie: „Also komisch Kinder, die Zwillinge haben dieses Mal wie Zwillinge geschrieben! Ich kann es immer noch nicht fassen. Ihr beiden habt doch gar nicht zusammengesessen!“
Sie schaut beide an. „Könnt ihr auch noch Gedanken übertragen? Unglaublich!“
Und dann erzählt sie der Klasse, dass Tim und Tom die gleichen Fehler gemacht haben, genau die gleichen. „Beide haben eine Drei!“, ruft sie. „Unglaublich!“, sagt sie noch einmal und schüttelt den Kopf.
Tim und Tom schauen sich an. Dann springen sie auf, laufen aufeinander zu und hüpfen und klatschen vor Begeisterung.
„Timtom, Timtom!“, jubelt die Klasse. „Nun ist es aber gut!“ Frau Klose klatscht in die Hände. Augenblicklich sind alle still. „So gut ist das für Tim ja nicht! Tim, ich bin von dir ein wenig enttäuscht. Ich hatte fest mit einer 1 gerechnet. Aber Tom“, richtet sich Frau Klose nun an Tom, „von dir bin ich begeistert. Das hast du super gemacht. Weiter so!“
Tim und Tom grinsen – alle beide gleichzeitig. Das wird ihr Geheimnis bleiben, da sind sie sich sicher. Aber noch mal? Nein noch einmal schwindeln werden sie auch nicht. Da sind sie sich auch ganz sicher.



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