Leseprobe:
Melodie der Ewigkeit (Melanie Buhl)

Romanfragmente

Echo der Erinnerung

Seite 7

Es war plötzlich so dunkel geworden, aber die Schmerzen ließen langsam nach und sie bemerkte, wie sich langsam in ihr eine Frage formte:
„Hast du alles in deiner Macht stehende getan, um deiner Aufgabe gerecht zu werden?“
Sie konnte keine Antwort geben. Die Erinnerung verblasste genauso wie die Schmerzen. Je mehr sie versuchte die Erinnerungen festzuhalten, desto mehr versanken diese im Nebel des Vergessens. Irgendetwas trieb sie, vorwärts zugehen und irgendetwas hielt sie zurück. Sie wollte keinen neuen Anfang, sie wollte zurück zu ihrem alten Leben. Sie wusste:
„Ich muss alles zu einem guten Ende bringen.“
Wie vielen hatte sie geholfen? Wie viele hatten sie um Rat gefragt? Wie vielen hatte sie Mut gemacht? Und wo waren die nun? Wollte ihr jetzt keiner helfen oder Mut zusprechen? War das der Dank, den sie verdiente? Nicht ein Einziger kam, um für sie zu sprechen. Alle hatten Angst. Nur einer war da, aber der sprach nicht für sie. Dabei hatte er sie einmal geliebt. Nun sah sie die Fackel in seiner Hand und hatte das Gefühl, er war schuld an der versengenden, mörderischen Hitze. Und das alles nur, weil sie seine Liebe nicht erwidern konnte. Sie hatte ihn als Freund und Bruder angesehen. Und diese wenige Zuneigung schlug irgendwann in Verachtung um. In diesem Moment hasste sie ihn mehr denn je, und als sie sah, dass die Flammen ihn erfassten, hätte sie fast gejubelt, wenn Dunkelheit und Nebel ihr nicht die Sinne geraubt hätten …


Abra
Botin des Lichts
Erbin des Lichts
Schwester im Licht

Seite 9


Die Tür am Ende des dunklen Ganges öffnete sich und eine kleine, zierliche Gestalt trat hindurch. Es war so hell, dass sie zuerst nichts sehen konnte. Blinzelnd nahm sie ein Wesen wahr, welches auf sie zutrat und sie herzlich begrüßte.
„Willkommen im Glanz des Lichtes, liebe Schwester!“
„Wo bin ich? Bin ich tot?“, fragte die Angesprochene und gleichzeitig kamen ihr schwache Erinnerungen, dass sie hier schon einmal gewesen war.
„Du bist in der Heimat des Lichts, unser aller Zuhause.“
Sie nahm die neu Angekommene bei der Hand und führte sie etwas weiter zur Mitte des Raumes. Dann erklärte sie:
„Tot, so wie die meisten Menschen es meinen, bist du nicht. Nur dein Körper ist vergänglich und du hast ihn zurückgelassen. Das, was du wirklich bist und was dich im wahrsten Sinne ausmacht, kann nicht sterben. Aber lass dir etwas Zeit, die Erinnerungen kommen bald wieder. Wenn du möchtest, kann ich dir helfen, dich zu erinnern. Mein Name ist Abra. Ich bin deine Botschafterin des heiligen Lichts.“
„Ich weiß nicht mehr, wer ich bin, aber ich habe das Gefühl, man nannte mich Jeanne.“
„Das ist einer deiner Namen in der anderen Welt“, sagte Abra „hier kennen wir die wirklichen Namen der Kinder des Lichts. Den Namen, mit dem auch das Licht dich ruft – Maline!“
„Andere Welt?“, flüsterte Maline zögerlich, „was bedeutet das?“
Während sie noch auf Antwort wartete, bemerkte Maline, dass Abra nicht so war, wie sie selbst. Sie schien irgendwie durchsichtig zu sein. Ein sanftes, zartblaues Leuchten ging von ihr aus, welches tief in ihrem Inneren seinen Ursprung hatte. Wenn sie sich bewegte, machte sie keinerlei Geräusch, fast so, als schwebte sie. Gleichzeitig nahm Maline einen leichten Duft nach Apfelblüten wahr, der von Abra ausging. Das erinnerte sie an etwas, aber sie kam einfach nicht darauf, was es war. Manchmal meinte sie, zarte Flügel hinter Abra zu sehen, aber wenn Maline genauer hinsah, waren sie nicht mehr da.
„Die andere Welt wird von den Menschen die Realität genannt oder die wahre Welt. Sie können sich nicht oder jedenfalls nur ganz selten an uns erinnern. Manche glauben, wir sind nur Träume oder Phantasien. Andere glauben, wir sind der Himmel ihres Gottes. Sie geben unserer Welt noch viele andere Namen wie zum Beispiel: die Anderswelt, Tir na´ nOg oder Annwn. Aber sehr viele haben auch den Glauben an unsere Welt verloren. Sie können uns in ihrer Realität nicht mehr wahrnehmen und sind fest gefangen ihrer Wirklichkeit. Es ist für sie – wenn sie dann hier herkommen – schwer, über ihr vergangenes Leben nachzudenken. Und es ist für sie auch viel schwerer, ihren Weg weiterzugehen“, erklärte Abra. „Lass uns einen Moment hier auf dieser Bank verweilen, damit du ein bisschen Ruhe findest. Du hast eine anstrengende Zeit hinter dir.“
Maline nahm das Angebot dankbar an. Sie war wirklich etwas erschöpft und verwirrt zugleich. Was Abra ihr eben erzählt hatte, war die Wahrheit, das wusste sie. Woher dieses Wissen allerdings kam, konnte sie sich nicht erklären. Abra setzte sich neben Maline und wieder glaubte diese für einen kurzen Augenblick, Flügel hinter Abra zu sehen. Diesmal bemerkte sie, dass die Flügel aus ganz zartem, glänzendem Material waren. Sie schimmerten wie Libellenflügel. Nein, dachte Maline, wie Feenflügel aus einem wunderschönen alten Märchen, welches ihr ihre Großmutter vor langer Zeit einmal erzählt hatte.
„Bist du eine Fee, Abra?“, fragte Maline ganz leise.

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