Leseprobe:
"Crazy Train" Martina Salomon

Einführung

Rucksacktourist nenne ich mich und frage mich im gleichen Atem- beziehungsweise Gedankenzug, was ich mit diesem Kollektiv wohl gemeinsam oder auch nicht gemeinsam habe und natürlich, was es mit jedem überhaupt auf sich hat!
Ja, soviel ist sicher, grundsätzlich bin auch ich auf Reisen, ja, auch ich transportiere all mein Hab und Gut in einem Rucksack, nein, und schon hier scheiden sich die Geister ein erstes Mal, tragen tue ich dieses Teil vornehmlich nicht. Schließlich begrenzt sich mein ganzes Hab und Gut auch auf Reisen nicht auf lächerliche zwei Kilogramm, sondern auf ein Erhebliches mehr. Nein, auf die genaue Kilogrammzahl möchte ich hier nicht eingehen, nur soviel: Ich musste am Flughafen keinen Zuschlag für Übergewicht bezahlen. Und überhaupt, wie komme ich dazu, mein Gepäck selbst zu tragen, schließlich bin ich Gast in einem fremden Land und würde es mehr als ungebührlich von mir empfinden, ja fast schon als einen Affront meinen Gastgebern gegenüber bezeichnen, wenn ich all die mir helfen wollenden Hände zurückstoßen und mein Gepäck bei Entfernungen, die sich über 100 Meter hinaus erstrecken, selbst tragen würde. Es versteht sich von selbst, dass ich nur zu gerne bereit bin, hierfür einen kleinen Obolus zu entrichten und offenbar versteht es sich auch von selbst, dass ich des Öfteren von dem Gefühl befallen werde, dass mir mein Gepäck förmlich aus den Händen beziehungsweise meinem Rücken gerissen wird und man mir dabei zugleich jegliche Wahlfreiheit abnimmt, denn selbstverständlich versteht es sich auch von selbst, dass der Träger natürlich der Meinung ist, er wisse am besten darüber Bescheid, wohin ich und mein Gepäck gehören und dass er mich auch genau dorthin bringt. Und wenn ich dann an meinem Ziel bin, versteht es sich wiederum von selbst, dass es mich überhaupt nicht mehr interessiert, was es mit diesem Kollektiv Rucksacktourist auf sich hat!

Hier in Peking haben wir uns in einem sogenannten Traveller-Hotel eingemietet, wo die Mitglieder des oben genannten Kollektivs vorzugsweise günstig abzusteigen pflegen, um hier ihre Erfahrungen und Tipps auszutauschen. Sie merken schon, irgendwie bin ich dieser Vereinigung zugeneigt, um dann bei der Identifizierung mit dergleichen doch zu kapitulieren.
Es sind, fernab von den wertvollen Tipps und Erfahrungen, die mir weitergegeben wurden, diese Möchtegern-Abenteuergeschichten, diese: „Wo steigt man am billigsten ab, und wo kann man wem noch 10 Cent abpressen“, die mir ziemlich gegen den Strich gehen und bei denen sich die Geister ein zweites Mal, dieses Mal mit einem sehr unangenehmen Beigeschmack, scheiden.

Immerhin, unser Zimmer in diesem „Hotel“ ist zweckmäßig eingerichtet und annähernd sauber. Ich für meine Wenigkeit befinde mich auf dem dazugehörigen „Thron“, der all meine Ausscheidungen gefügig in sich aufnimmt und bin bester Hoffnung, dass dieser Zustand kurzfristig zu Ende gehen möge. Nein, ich leide nicht unter Durchfall, nein, nur ganz in Ordnung ist mein Inneres wohl auch nicht.
Ein zaghaftes Klopfen an der Toilettentür, es ist der vorsichtige und doch vergebliche Versuch von Paul, zu stören, ohne zu stören, holt mich zurück in das Hier und Jetzt. Paul ist mein Reisebegleiter und wie sich in den letzten vier Wochen herausgestellt hat, auch ein guter Freund – wie sonst hätten wir uns vier Wochen lang 24 Stunden täglich so gut verstanden. Wer sonst sollte an unsere Toilettentüre klopfen als er, jede andere Person würde einen Schock in mir auslösen; obwohl – vielleicht würde ein solcher meine Gedärme ja milder stimmen?



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