Leseprobe:
Älter als die Sonne (Hartmut Grosser)

Kapitel 1


Vor wenigen Minuten hatte der terranische Forschungsraumer vom Typ Explorer seinen kurzen Überlichtflug beendet. Nun befand er sich fast im Zentrum der Galaxie nahe dem massiven schwarzen Loch, das in jeder Galaxie den Kern bildete. In dieser Region standen einige der Sonnen nur wenige Lichtstunden auseinander. Ihre Gravitationskräfte und Magnetfelder beeinflussten sämtliche Instrumente und störten bis in den Hyperraum hinein. Auch wegen der, auf allen Frequenzen strahlenden, farbigen Gaswolken war eine exakte Navigation nicht möglich. Daher konnte das Raumschiff nur sehr kurze Flüge im Überlichtbereich – maximal eine Lichtstunde – durchführen. Laufend bestand Gefahr, mit einer zu spät georteten Sonne zu kollidieren.
Seit mehreren Wochen näherte sich der Raumer vorsichtig dieser Region, denn bereits vor einiger Zeit hatte Professor Gaston, die astronomische Kapazität an Bord, die Anomalie zufällig entdeckt. Sie beinhaltete drei rote Überriesen vom Antares-Typ, die die Eckpunkte eines gleichseitigen Dreiecks bildeten. In der Mitte lohte ein weißer Zwerg mit unheimlicher Dichte. Direkt über der Viersonnenebene – etwa zwölf Lichtminuten entfernt – stand ein einsamer marsgroßer Planet, der durch einen dünnen Lichtstrahl mit der Zwergsonne verbunden war.
In diesem Teil der Galaxie dürfte es eigentlich kein Planetensystem geben, weil sich die Gravitationsfelder der nahe beieinanderstehenden Sonnen gegenseitig störten. Doch hier schien das alles keine Bedeutung zu haben. Sämtliche physikalischen Gesetzmäßigkeiten waren ad absurdum geführt.
Staunend betrachteten die Frauen und Männer der Zentralbesatzung das phantastisch und zugleich bedrohlich anmutende Bild auf dem großen Frontholographen, der die Anomalie in Maximalvergrößerung darstellte.
„Frank, komm doch bitte mal herüber“, ertönte die Stimme Professor Gastons, aus dem winzigen Lautsprecher an der Konsole des Kommandantensessels. „Wir haben eine grandiose Entdeckung gemacht.“
Es kostete den Commander etwas Mühe, sich von dem faszinierenden Anblick auf dem Bildschirm loszureißen.
„Gerry, wir stoppen hier und führen unsere Messungen durch, und du, David, übernimmst. Ich bin in der astronomischen Sektion.“
Der Angesprochene nickte. Er erhob sich aus seinem Sessel vor dem Navigationscomputer, um im Sitz des Commanders Platz zu nehmen.
Während Frank die Zentrale verließ, begann der Pilot das Raumschiff abzubremsen. Bald nahm es eine Orbitalbahn ein, die nur knapp eine Lichtstunde an dem Phänomen vorbeiführte.
„Hierher, Frank!“ Aufgeregt winkte der Professor dem Commander zu, als der die Astronomiesektion betrat. Gaston stand vor einem naturgetreuen Abbild des Sonnendreiecks, das übergroß an die hintere Wand projiziert wurde.
Grüßend nickte der Commander den anderen Mitarbeitern der Abteilung zu, bevor er neben den Sektionsleiter trat und auf die Drei-D-Projektion blickte.
„Unzweifelhaft haben wir es hier mit einem künstlichen Gebilde zu tun.“ Der kleine, weißhaarige Gelehrte wedelte mit den Armen. Seine sonst so sprichwörtliche Ruhe war wie weggeblasen.
„Sieh dir das an, Frank!“ Gaston fuhr mit dem Finger die Konturen des imaginären Dreiecks ab. „Eine geometrisch exakte Form mit dem genau im errechneten Schwerpunkt befindlichen weißen Zwerg und dem senkrecht darüberstehenden Planeten. Das ist niemals ein natürliches System!“
Die rechte Hand des Commanders rieb das Kinn.
„Bist du davon überzeugt, Rene? Wir haben schon einiges gesehen, was nicht unbedingt unseren Vorstellungen entsprach.“ Der Gelehrte trat einen Schritt beiseite, auf ein Kontrollpult zu. Er drückte einige Sensortasten und das Bild veränderte sich. Es zeigte jetzt das Dreiecksystem aus größerer Entfernung. Damit konnte man nun auch die Umgebung betrachten.
„Das stimmt schon. Aber ich kann dir beweisen, dass jemand die Sonnen manipuliert hat“, triumphierte Gaston. „Schau mal hier, hier und hier!“ Mit dem ausgestreckten rechten Arm deutete er auf einige dunklere Zonen in der Nachbarschaft der Konstellation. „Da fehlen die roten Überriesen. Sie wurden gewaltsam entfernt und um die Zwergsonne platziert. Auch den Planeten holte man woanders her. Wir haben es nachgewiesen. Willst du unsere Berechnungen sehen?“
„Um Gottes willen, nein“, wehrte der Commander ab. „Ich glaube dir auch so.“
Eine Weile schwieg er nachdenklich. „Das würde bedeuten, dass es hier eine Zivilisation geben muss, die der unseren weit voraus ist“, überlegte er dann laut.
Gespannt fixierte ihn der Professor und nickte eifrig.
„Genau, Frank. Mit unseren Mitteln ist so etwas nicht möglich.“ Er zuckte mit den Achseln. „Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie das gehen soll. Auf jeden Fall müssen die technischen Fähigkeiten hierfür enorm sein. Um eine Sonne aus ihrer Bahn zu reißen, dazu gehört schon einiges. Um sie jedoch gezielt zu versetzten, noch viel mehr!“ Die letzten Worte betonte er nachdrücklich.
„Warum das alles?“ Der Commander blickte dem Gelehrten in die Augen. „Was wollen die Unbekannten damit bezwecken?“
„Ich weiß es nicht.“ Gaston schüttelte den Kopf. „Dieses gewaltige Projekt hat sicherlich einige Jahrtausende gedauert. Jedenfalls länger, als wir es uns vorstellen können. Aber, ich bin mir sicher, dass wir den Grund noch herausfinden werden.“
Frank bezweifelte es. Ein seltsames Unbehagen hatte ihn ergriffen. Es war das Gefühl einer aufkommenden Gefahr. Je länger er sich mit dem Abbild der künstlichen Konstellation beschäftigte, desto stärker wurde es. Seine Gedanken kreisten um die Absichten der Wesen, die das geschaffen hatten.
Was hatten sie damit erreichen wollen? Sollte es nur Zeugnis ihrer Leistungsfähigkeit sein, mit der sie sich ein bleibendes Denkmal setzen wollten? Oder war es etwas anderes? Etwas, das alle Lebewesen der Galaxie bedrohte?
Urplötzlich riss ihn ein auf und abschwellender Ton aus den Gedanken. Ruckartig hob er den Kopf.
Alarmstufe Gelb!
„Commander, Sie werden in der Zentrale verlangt!“, rief ihm einer der Wissenschaftler aus dem Hintergrund des Raumes zu.
Wortlos nickte Frank und rannte hinaus auf den Korridor.

 


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